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  • Writer's pictureJohanna Mamali Panagiotou

R. Luxemburgs Antimilitarismus: Fundament einer Politik gegen die Präsenz der Bundeswehr an Schulen

Johanna Panagiotou


»Wenn wir die Geschichte betrachten, […] müssen wir
konstatieren, dass der Krieg den unentbehrlichen Faktor
der kapitalistischen Entwicklung bildete.«

Rosa Luxemburg, Sozialreform oder Revolution? (1899), in: Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke, Bt. 1, 1, Berlin 1982, S. 369–445

Einführung

Kaum eine andere politische Denkerin wurde derart verehrt und gehasst wie Rosa Luxemburg. Ihre Gedankenwelt ist geprägt von unbequemen Thesen, die aber einen Platz im Reich der Unvergänglichkeit gefunden haben und heute noch einen entscheidenden Einfluss ausüben; unter anderem auf Friedensdiskurse. Ihre bekannte, unbeugsame Kriegsgegnerschaft ist Gegenstand dieses Beitrages. Genauer wird der Versuch unternommen, die Abwehr einer Militarisierung der Bildung − basierend auf luxemburgischen und weiteren Theorien – mit Argumenten zu untermauern. Anschließend werden Gedanken und Vorschläge für einen emanzipatorischen Bildungsansatz mit gesellschaftskritischen Zügen, wo der Mensch im Mittelpunkt steht, präsentiert.


Zur Problematik

Wie rücksichtlos das Kapital ist, erkennt man inter alia, wenn man genau beobachtet, wie in einem kapitalistischen System mit empfindlichen Bevölkerungsgruppen − insbesondere mit Kindern – umgegangen wird. Was mich lange beschäftigt, ist, wie die Waffenindustrie durch das Militär – und bedauerlicherweise in Zusammenarbeit mit dem Staat – Kinder frühestmöglich mit dem Verharmlosen der bewaffneten Gewalt vertraut macht. Um die Umrisse der Problematik zu skizzieren, gebe ich zuerst ein paar Informationen aus der Presse sowie eines der vielen Beispielen, die der Autor Michael Schulze von Glaßer diesbezüglich seit Jahren sammelt:


Voriges Jahr gab es erneut ein Beispiel für die hemmungslose Indoktrination seitens der Bundeswehr. Für ein Gruppenfoto der Altmark-Zeitung posieren Grundschüler mit uniformierten Bundeswehrsoldaten. »Die Kinder fanden es klasse«, sagt die Lehrerin[1]. Dieser Vorfall ist nur die Spitze eines Eisberges, der in Deutschland nicht mehr zu übersehen ist. 2016 ließen Soldaten auf dem Tag der Bundeswehr in Stetten Kinder mit echten Waffen hantieren. 2009 wurde im Rahmen eines Klassenausfluges ein Schießsimulator vorgeführt. »Habt ihr eine Playstation zuhause? Das macht bestimmt Spaß, oder? Das hier ist tausend Mal besser! « ruft der leitende Soldat und sorgt für Kriegsbegeisterung.[2]


Luxemburgs Antimilitarismus

Die Assoziation zwischen der oben geschilderten Problematik und dem Streben nach einem lösungsorientierten Ansatz nach Rosa Luxemburg ist nachzuvollziehen, wenn man berücksichtigt, wie wichtig ihr geistiges Erbe für die junge Generation sowie für deren Lehrer ist. Luxemburgs hochaktuelle Theoriebildung wird hier als das geniale sozusagen Gegenmittel zu einem oberflächigen und angepassten Bildungssystem vorgeschlagen.

Zuerst sei aber kurz auf die ambivalente Beziehung Luxemburgs zum Frieden hingewiesen. Dass sie eine leidenschaftliche Kriegsgegnerin und Antimilitaristin war, besteht keine Zweifel. Dass sie diejenige war, die mit Karl Liebneckt die KPD gründete − wofür der Prager Fenstersturz die Zustimmung der SPD zu den Kriegskrediten, die wiederum den Ersten Weltkrieg ermöglichten – ist jedem bekannt. Nichtsdestotrotz könnte man sie nicht unbedingt – verglichen etwa mit dem Österreicher Karl Kraus − als eine überzeugte und im strengen Sinne Pazifistin jener Zeit charakterisieren, wenn es um den Widerstand der Arbeiterschaft gegen Ausbeuter und um ihren Schutz gegen autoritäre staatliche Gewalt und den Terror ging. Als 2010 die Rosa-Luxemburg-Stiftung sich mit diesem kontroversen Thema beschäftigte, betitelte der Historiker Gerd-Rüdiger Stephan seinen Essay: »Rosa Luxemburg: ›Eine beinahe militante Pazifistin‹? « – mit Fragezeichen. Eine Vertiefung in die Facette dieser kompromisslosen Kämpferin, zielend auf die Klarstellung und die Beantwortung der Frage »Antimilitaristin ja, aber zugleich auch Pazifistin? « stellt für diesen Artikel keine Priorität dar. Daher wäre es eher sinnvoll, uns darauf zu beschränken, den zweifellosen Antimilitarismus dieser bedeutenden Theoretikerin in den Vordergrund zu rücken und dabei zu bleiben.


Die kompromisslose Kriegsgegnerschaft

Um in die antimilitaristische Gedankenwelt der Revolutionärin einzutauchen, müssen wir die Zeit zurückdrehen und uns ins Jahr 1899 versetzen. Dort, stoßen wir auf einen pathetischen und zugleich sehr aussagekräftigen Artikel von Rosa Luxemburg, der eigentlich eine Antwort auf einen Brief von Max Schippel an die Leipziger Volkszeitung ist, wo der Revisionist die Unentbehrlichkeit der stehenden Heere verteidigt und die Miliz als eine Absurdität hält. In derselben Zeitung schrieb darauf Rosa Luxemburg vor 121 Jahren folgenden, immer noch hochaktuellen, Artikel: Miliz und Militarismus.

Unter heutigen Verhältnissen kann man sich Schippels Stellungnahme verfasst auf einer halben DIN-A4-Seite vorstellen; Luxemburgs stürmische Antwort umfasst dagegen circa 15 DIN-A4-Seiten. Dies findet Ende des 19. Jahrhunderts statt, wo Frauen immer noch kein Wahlrecht, oder ein Recht auf höhere Bildung hatten. Praktisch gesehen, wurde ihnen damit das öffentliche Rederecht verweigert. Diese Tatsache verleiht den im Folgenden gekürzt dargestellten Zitaten aus Rosas Brief einen zusätzlichen Wert.


[…] »So zeigt er (Schippel) damit nur, dass er sie (die Frage des Militarismus) mit den Augen der kapitalistischen Regierung oder der bürgerlichen Klassen betrachtet (…) Er (der Sozialdemokrat) geht dabei also einfach von der heutigen preußisch-deutschen Finanzwirtschaft aus«[3].

Dazu wirft sie dem Flügel Schippel und Freiherr von Stumm Gelegenheitspolitik sowie Opportunismus vor und hebt hervor: »Das wesentliche Merkmal der opportunistischen Politik ist, dass sie folgerichtig stets dazu führt, die Endziele der Bewegung, die Interessen der Befreiung der Arbeiterklasse ihren nächsten, und zwar eingebildeten Interessen zum Opfer zu bringen«[4].


Anschließend ergreift die promovierte Volksökonomin die Gelegenheit und erklärt uns, warum sowohl von angepassten Sozialdemokraten als auch vom Kapital, im Zusammenhang mit dem Militarismus, stets von einer Entlastung die Rede ist. Die Absurdität dieser unlogischen Assoziation erklärt sie wie folgt:

»Wir wollen […] für einen Augenblick annehmen, […] dass die ›Gesellschaft‹ tatsächlich durch den Militarismus von ihren überflüssigen Produktivkräften ›entlastet‹ wird. Wie kann sich diese Erscheinung für die Arbeiterklasse gestalten? Offenbar so, dass sie einen Teil ihrer Reservearmee, der Lohndrücker, durch die Erhaltung des ständigen Heeres los wird und dadurch ihre Arbeitsbedingungen verbessert. Was bedeutet das? Nur dies: Der Arbeiter gibt, um das Angebot auf dem Arbeitsmarkte zu verringern, um den Wettbewerb zu beschränken, erstens einen Teil seines Lohnes in Gestalt von Steuern her, um seinen Konkurrenten als Soldaten, zu erhalten; zweitens schafft er aus diesem Konkurrenten ein Werkzeug, womit der kapitalistische Staat jede seiner Regungen zum Zwecke der Verbesserung seiner Lage (Ausstände, Koalition usw.) niederhalten, nötigenfalls im Blute ersticken, also dieselbe Aufbesserung der Lage des Arbeiters vereiteln kann, um derentwillen der Militarismus nach Schippel notwendig war. Drittens macht der Arbeiter diesen Konkurrenten zum sichersten Pfeiler der Reaktion überhaupt, also der eigenen sozialen Versklavung«[5].


Und was verliert er damit?

[…] »In hohem Maße die Möglichkeit, dauernd um die Hebung seines Lohnes und die Verbesserung seiner Lage zu kämpfen. Er gewinnt als Verkäufer der Arbeitskraft, verliert aber zugleich die politische Bewegungsfreiheit als Bürger, um in letzter Linie auch als Verkäufer der Arbeitskraft zu verlieren. Er beseitigt einen Konkurrenten vom Arbeitsmarkte, um einen Hüter seiner Lohnsklaverei erstehen zu sehen, und verhütet eine Lohnherabsetzung, um sodann sowohl die Aussicht einer dauernden Aufbesserung seiner Lage als auch die Aussichten seiner endgültigen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Befreiung zu vermindern«[6].


Aus diesem legendären Schreiben möchte ich noch drei Sätze als repräsentative luxemburgische Zitate über den Militarismus ausersehen, dessen Bejahung »die Verleugnung des ganzen politischen Kampfes der Sozialdemokratie« für sie bedeutet:

»In dem Militarismus kristallisiert sich die Macht und die Herrschaft ebenso des kapitalistischen Staates wie der bürgerlichen Klasse, und wie die Sozialdemokratie die einzige Partei ist, die ihn prinzipiell bekämpft, so gehört auch umgekehrt die prinzipielle Bekämpfung des Militarismus zum Wesen der Sozialdemokratie«[7].


Aus so einer Debatte könnte der Rivale Eduard Bernstein nicht fehlen. Bernstein und Schippel wirft sie Folgendes vor:

»Wie Bernstein in Bezug auf den Kapitalismus im Ganzen, so versteht Schippel in Bezug auf den Militarismus nicht, dass die objektive Entwicklung uns bloß die Bedingungen einer höheren Entwicklungsstufe an die Hand gibt, dass aber ohne unser zielbewusstes Eingreifen, ohne den politischen Kampf der Arbeiterklasse um die sozialistische Umwälzung oder um die Miliz weder die eine noch die andere je verwirklicht wird«[8].


Zu guter Letzt sei folgendes Zitat zu erwähnen:

»Der Militarismus, der für die Gesellschaft im ganzen eine ökonomisch völlig absurde Vergeudung ungeheurer Produktivkräfte darstellt, der für die Arbeiterklasse eine Herabsetzung ihres wirtschaftlichen Lebensmaßstabes zum Zwecke ihrer sozialen Versklavung bedeutet, bildet für die Kapitalistenklasse ökonomisch die glänzendste, unersetzliche Anlageart, wie gesellschaftlich und politisch die beste Stütze ihrer Klassenherrschaft«[9].


Nach diesem innenparteilichen Streit gewann Rosa Sympathie und erntete Zustimmung.


Die Aktualität ihres politischen Denkens

Wie schon anfangs erwähnt, ist Rosa Luxemburg eine Persönlichkeit, die Kontroverse auslöst. Nichtsdestotrotz können sich Verehrer und Verächter darauf einigen, dass sie ihrer Zeit immer voraus war. So lesen sich ihre Texte heute noch, als ob die Zeit stehen geblieben ist. Dieses Aktualitätselement prägt auch ihre antimilitaristische Analyse.


Der Autor Bruno Kern unternimmt in seinem Buch »Rosa Luxemburg: Mensch sein ist vor allem die Hautsache. Gedanken einer Revolutionärin« den Versuch, basierend auf einer treffenden Textauswahl, die Aktualität ihres politischen Denkens nachzuweisen. Dabei fokussiert er auf den Zusammenhang der sozusagen vier üblen Ks: Krieg-Kapital-Kolonialismus-Klassenherrschaft, um den Weg zu einer Renaissance ihrer Antimilitarismustheorie aufzuzeigen. Zuerst möchte ich aber − basierend auf dem Vergleich des damaligen luxemburgischen mit dem heutigen Antimilitarismus des Autors – nochmal daran erinnern, dass:


»Während der Erste Weltkrieg gegen den Rosa Luxemburg mit der bitteren Konsequenz von Haftstrafen so mutig gekämpft hat, im Zeichen der Industrialisierung war, steht die Kriegsgefahr heute im Zeichen der anbrechenden Deindustrialisierung. […]. Die künftigen Spannungen werden wohl am ehesten aus der Notwendigkeit des industriellen Rückbaues, bzw. aus dem verzweifelten Kampf um die letzten fossilen Ressourcen entstehen. Militärische Abrüstung hätte deshalb heute einherzugehen mit industrieller Abrüstung, mit geplantem Rückzug aus einer ökonomischen und technischen Entwicklung, die die endliche Erde nicht aushält«.[10]


Nicht zuletzt würde ich gerne, da unter Forscher, die von Luxemburg beeinflusst wurden, eher Loblieder über sie gesungen werden, im Sinne einer vollständigen Betrachtung des Themas, kurz den Kritikpunkt von Kern erwähnen, dass Rosa es versäumte, aus einem ›Klassenstandpunkt‹ heraus »eine Allianz mit bürgerlichen pazifistischen Kräften anzustreben. Dies mag man ihr rückblickend als politischen Irrtum ankreiden«,[11] meint der Autor.


Die Gegenargumentation

Zu einer konstruktiven und fruchtbaren Diskussion, auf die dieser Beitrag zielt, sei vor allem die These von Rosa Luxemburg zu beachten: »Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden«. In diesem Sinne, sehe ich mich verpflichtet, in die Gegenargumentation einzugehen, obwohl uns allen bewusst ist, was Rosa Luxemburg gesagt hat: Krieg ist eine kapitalistische Krankheit.


Die andere Seite, die Bundeswehr, redet von einer Notwendigkeit für Verteidigung, dass sie sich für die Friedenssicherung bemühen, dass bei Auslandseinsätze uns die Bevölkerung vor Ort unbedingt braucht, et cetera. Und das alles mit einer weißen – so wie James Baldwin ›weiß‹ bezeichnet hat: Macht, Überlegenheitskomplex – Deutungshoheit, die es den Offizieren sogar erlaubt, im Name der ausgebeuteten Völker zu sprechen, ohne Gedanken drüber zu machen, ob im Klassenzimmer Kinder und Jugendliche aus Kriegsregionen präsent sind, die eine völlig andere Erfahrung diesbezüglich gemacht haben.


Die Jungend in den Vordergrund rücken

Was ist nun zu tun, um zukünftige Bürger basierend auf Luxemburgs Antimilitarismus heranzubilden, um den »Rückfall in die Barbarei« nach Engels zu verhindern? Ohne der großen Revolutionärin − die den Zusammenhang zwischen Krieg und Kapitalismus tiefgreifend analysierte und das Proletariat als jenen Machtfaktor sieht, der den Krieg verhindern kann − zu widersprechen, muss man parallel den Versuch unternehmen, die Jungend in den Vordergrund zu rücken. Obwohl dies wiederum keinen Widerspruch darstellt, wenn man sich an Rosas Worte erinnert: »Zumal die arbeitende Jugend ist zu diesen großen Aufgaben berufen. Sie wird ja als die künftige Generation ganz sicher schon das wahre Fundament der sozialistischen Wirtschaft bilden. Es ist nun ihre Sache, jetzt schon zu zeigen, dass sie der großen Aufgabe als Trägerin der Zukunft der Menschheit gewachsen ist. Es ist eine ganze alte Welt noch zu stürzen und eine ganze neue aufzubauen. Aber wir schaffen' s, junge Freunde, nicht wahr? Wir schaffen' s! Wie heißt es doch im Lied: Uns fehlt ja nichts, mein Weib, mein Kind, / als all das, was durch uns gedeiht, / um so frei zu sein, wie die Vögel sind: / nur Zeit! «.[12] Ferner plädiert sie im selben Aufsatz dafür: »Die Vergeudung, wie sie heute auf Schritt und Tritt stattfindet, muss aufhören. So müssen natürlich die gesamten Kriegs- und Munitionsindustrien abgeschafft werden, denn die sozialistische Gesellschaft braucht keine Mordwaffen, und anstatt dessen müssen die darin verwendeten kostbaren Stoffe und Arbeitskräfte für nützliche Produktionen verwendet werden«.


Gedanken zur emanzipatorischen Bildung:

Altersgemäß befindet sich die Zielgruppe der deutschen Bundeswehr zum passenden Zeitpunkt, um eine politische Bildung zu genießen, weil sie gerade politisch aktiv sind, oder es werden wollen. In diesem Sinne sollte man sich ernsthafte Gedanken machen, wie eine sozusagen ›Bildung von links‹ zu gestalten sei. In einem Interview erinnert Stefan Kalmring an ein Zitat des US-amerikanischen Historikers Howard Zinn »Bildung soll gefährlich sein«. Damit ist gemeint, dass Bildung »auf die Kritik und Überwindung von Herrschaft zielen sollte und zwar sowohl gesamtgesellschaftlich als auch im Bildungsprozess selbst«.[13] Der Referent für politische Weiterbildung in der Rosa-Luxemburg-Stiftung hat dabei drei Ebenen festgelegt, die zusammengebracht werden, um das obige Ziel zu erreichen: Wissen, Handeln, Persönlichkeitsentwicklung.


In unserem Beispiel ist diese Zielsetzung [Überwindung von Herrschaft] sehr treffend. Kritisch denkende und politisch interessierte Jugendlichen sollten nämlich - neben der obligatorischen schulischen Bildung - eine zusätzliche politische Bildung, wo sie ihr kritisches Denken erweitern, erhalten. Nur so sind sie in der Lage, die benötigten Reflexe aufzubauen, um eine ihnen angebotene herrschaftsorientierte Berufsperspektive und die damit verbundene lauernde Indoktrination abzulehnen. Denn unter ›emanzipatorische Bildung‹ und ›Emanzipation‹ versteht man, dass die Betroffenen - auch wenn sie jung sind - ihren eigenen Widerstand selber durchführen sollten. Es reicht nicht aus, wenn nur Eltern- und Lehrerverbände sowie die Friedensbewegung im Namen der Schüler für sie gegen die Präsenz der Bundeswehr in ihrem Umfeld protestiert. Die jungen Menschen sollten nach dem Subsidiaritätsprinzip ›erzogen‹ werden und schon früh genug begreifen, dass jeder revolutionärer Akt von unten nach oben zu organisieren ist.

Um auf Kalmring zurück zu kommen, »muss linke Bildung sich nicht nur im Inhalt, sondern auch in der Form von Mainstream unterscheiden und dabei geschichtssensibel sein. Emanzipatorisch gedachte Prozesse sind auf der Linken immer wieder auch herrschaftsförmig umgekippt. Die machtvolle Belehrung im Namen der Aufklärung steht einem Lernen gegenüber, das Selbstermächtigungsräume schaffen sollte«.[14] Aus diesem Zitat erlaube ich mir, das Wort ›geschichtssensibel‹ aufzugreifen. Eine außerschulische linke Bildung, die die in der Schule erworbenen Kenntnisse und Informationen ergänzt, oder deren Richtigkeit und Vollständigkeit in Frage stellt und die ihren Schwerpunkt nicht auf die Geschichte setzt, ist unvorstellbar. Folgendes Beispiel könnte in diesem Zusammenhang der Argumentation eine gewisse Bedeutung verleihen:


Angenommen, dass die Bundeswehr ihre keinesfalls traditionswürdige Vergangenheit, die mit der Wehrmacht verbunden ist, nun tatsächlich abstreifen und durch Anwendung der Technologie [ausgezeichneter Internetauftritt, professionelles Nutzen von sozialen Netzwerken] Plakatierung, Sponsoring von Schüleraktivitäten und anderen modernen PR-Maßnahmen überzeugen will, dass sie den jungen Männern und Frauen bloß eine Berufsperspektive bieten will. In diesem Fall sollte man sich in einem Umfeld, wo das kritische Denken gefördert und geschichtssensibel Bildung geboten wird, untersuchen, inwiefern die Aufarbeitung der eigenen Geschichte in der Bundeswehr stattgefunden hat. »Die Bundeswehr existiert letztlich, um militärische Gewalt anzudrohen oder anzuwenden. Wenn Sie nach handwerklichen Traditionen für dieses Metier suchen, landen Sie automatisch im Zweiten Weltkrieg«[15] betont der Historiker Sönke Neitzel. Inwiefern hat sich die 1955 gegründete Bundeswehr heutzutage von dieser ›Tradition‹ distanziert und zu anderen Praktiken gegriffen? Zwei aktuelle Beispiele aus den ›friedensschaffenden Maßnahmen‹ in Afghanistan, die der Bundeswehrforscher Michael Schulze von Glaßer bringt, könnten dabei hilfreich sein:


»Eineinhalb Tage nachdem eine Bundeswehrpatrouille nach Kundus im August 2008 in eine Sprengfalle gefahren und ein 29 Jahre alter Hauptfeldwebel getötet worden war, erschoss ein Bundeswehrsoldat eine Frau und zwei Kinder, die in einem Auto auf einen Kontrollpunkt zufuhren. […] Am 2. April 2010 kamen drei deutsche ISAF-Soldaten bei Gefechten mit Taliban ums Leben. Später beschloss ein Bundeswehr-Schützenpanzer einen Jeep der afghanischen Armee, den sie nicht als solchen identifizieren konnte - fünf Soldaten der Afghan-National-Army wurden dabei getötet«. [16]


Diese Fälle rufen Erinnerungen aus der Vergangenheit hervor. Insbesondere bei Menschen, die die deutsche Besatzung und die Tradition der Vergeltungsmaßnahmen am eigenen Leib erlebt haben. Die Beispiele lassen keinen Raum frei, dass es an der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit mangelt. Dass es immer wieder zu rechtsextremen Vorfällen in der Bundeswehr kommt, sei hier nicht redundant zu erwähnen. Und die Zukunftsträger sollten in der Lage sein, diese Assoziationen zu machen und sich weigern, am Unterricht der Jugendoffiziere teilzunehmen oder die Finanzierung schulischer Projekte abzulehnen. Dem historischen Grundwissen sei ein zusätzliches ökologisches Argument im Zusammenhang mit dem Imperialismus hinzuzufügen, dass aufgrund der aktuellen Umweltempfindlichkeit des Nachwuchses [siehe Fridays for Future] auf fruchtbaren Boden fallen könnte:

2006 versuchte die Bundeswehr, den Marineeinsatz vor der Küste Somalias - wie es im gleichjährigen Bundeswehr-Weißbuch dokumentiert wird - [siehe ›Atalanta‹] zur Sicherung von Rohstoffen für die deutsche Wirtschaft nordrhein-westfälischen Schülern zu legitimieren.[17] Wie nie zuvor wäre für die jungen Menschen die luxemburgische theoretische Grundlage wünschenswert. Denn hier können sie alle Antworten finden, die sie sicherlich nachdenklich machen werden:

»[Für die Kapitalistenklasse] ist heute der Militarismus in dreifacher Beziehung unentbehrlich geworden: erstens als Kampfmittel für konkurrierende ›nationale‹ Interessen gegen andere nationale Gruppen, zweitens als wichtigste Anlageart ebenso für das finanzielle wie für das industrielle Kapital, und drittens als Werkzeug der Klassenherrschaft im Inlande gegenüber dem arbeitenden Volke»[18]


Diskussion und Vorschläge

Wie schon mehrmals in diesem Aufsatz erwähnt, ist das Förden eines kritischen Denkens von höchster Priorität. Dirk Jahn hat sich sehr intensiv damit beschäftigt und weist darauf hin, dass das kritische Denken hauptsächlich von unsren Ängsten gelähmt wird. Unter Deutschen gelten wirtschaftliche Sorgen als Hauptängste, die dringend überwunden werden müssen. Stattdessen ist die luxemburgische Philosophie »Mensch sein, ist vor allem die Sache« zu beachten. Dementsprechend sollte man sich nach einer humanistischen, in diesem Sinne, Bildung orientieren. »Bildung kann einen Beitrag dazu leisten, durch Förderung des Denkens der Lernenden einen Wertewandel aufgrund von individueller Erkenntnis herbeizuführen. Jedoch hebt das Ideal der Bildung zusehends auf ökonomische Verwertbarkeit ab. Lernende sollen mit den notwenigen Kompetenzen für den Arbeitsmarkt ausgestattet werden, am besten schon ab Kindergartenalter, um im Wettbewerb bestehen zu können, um dann keine Angst vor Arbeitslosigkeit haben zu müssen«.[19]


Jahn zitiert in seiner Dissertation den kanadischen Professor für kritische Pädagogik Joe Kincheloe, um ferner gesellschaftliche Veränderung durch kritisches Denken in Aussicht zu stellen: »›Thinking in new ways always necessitates personal transformation, and if enough people think in new ways, social transformation is inevitable“ (Kincheloe, 2004, S. 17).‹ Ein weiterer Vertreter dieser These ist der österreichische Bildungsforscher Gottfried Petri. Er vertritt die Ansicht, dass eine ganzheitliche Ausrichtung des schulischen Unterrichts auf die Förderung von kritischem Denken zu einem gesellschaftlichen Wertewandel führen kann, der beispielsweise einseitig denkenden, fanatischen oder ideologischen Bewegungen das Wasser abgräbt und zur Demokratisierung der Gesellschaft beiträgt (Petri, 2003, S. 259)«. [20]


Neben der Förderung des kritischen Denkens sollte gleichzeitig das Erhöhen des Prestiges des Lehrerberufs zu den Prioritäten eines Handels gegen die Militarisierung der Bildung sein. Nicht zuletzt sollte man sich damit auseinandersetzen, was für Vorbilder die heutigen Schüler haben. In diesem Rahmen wäre es vielleicht sinnvoll, mit der Vermittlung von inspirierenden Vorbilder schon vom Grundschulalter zu beginnen. Eine Benennung der Schulen in Westdeutschland nach Rosa Luxemburg wäre in diesem Sinne keine schlechte Idee. A dato gibt es nur in den sozusagen ›neuen‹ Bundesländern und genauer in Wittenberg, Halle, Potsdam und Luckau Rosa Luxemburg Schulen. Damit man aber dieses momentan utopische Ziel erreichen kann, muss die Perpetuierung von ›Ängsten‹ rund um den Kommunismus und linken Persönlichkeiten in den ›alten‹ Bundesländern überwunden werden.


Schlusswort

Wie in Zeiten Luxemburgs die Kriegsbegeisterung im August 1914 nur »eine Momentaufnahme einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht entspricht […] (und) allein die Antikriegskundgebung […] weit über 100.000 Arbeiterinnen mobilisierte«[21], sollte man vor der aktuellen globalen Mobilisierung der Jugend, die Augen nicht verschließen und sofort handeln. Jetzt, wo soziale Schüler-Bewegungen nicht mehr aufzuhalten sind. Jetzt, wo die Flammen des Krieges in Jemen, die größte humanitäre Katastrophe der Gegenwart, und in anderen ›unbedeutenden‹ Orten sichtbar sind. Jetzt, wo Militärausgaben − mit einer erfahrenen Verteidigungsministerin an der Spitze der EU − wesentlich erhöht werden. Jetzt ist die Verbreitung der Aufklärung nach Luxemburg nötiger denn je, damit ihre Vision: »Nein, auf unsere Brüder schießen wir nicht! « zu einer Selbstverständlichkeit wird.


Der argentinische Schriftsteller Jorge Luis Borges hat mal gesagt, »Lesen ist Denken mit fremdem Gehirn«. In diesem Sinne, bot mir dieser Artikel die Gelegenheit im Rahmen mit dem Gehirn einer Koryphäe in der politischen Theorie zu denken. Es gehört nun zu unserer Aufgabe die junge Generation als ›Trägerin der Zukunft der Menschheit‹ durch diese reiche Gedankenwelt zu führen.


Notizen:

[1] Susan Bonath: »Krieg und Gewalt gezielt verharmlost«. Friedensinitiative hält das Einbinden von Kindern in den Militärbetrieb für einen Skandal, in: Junge Welt, 20.07.2019, S. 3. [2] Michael Schulze von Glaßer: Die Eroberung der Schulen. Wie die Bundeswehr in Bildungsstätten wirbt, in: Informationsstelle Militarisierung (IMI), 02/2010, 18.1.2010, S. 12. Vgl. ebenfalls: Conni Hüttmann: »Viel besser als Schule«. Achtklässler bei der Bundeswehr, in: Ostholsteiner-Anzeiger, 09.10.2009, unter: www.shz.de/lokales/ostholsteiner-anzeiger/viel-besser-als-schule-achtklaessler-bei-der-bundeswehr-id734546.html. [3] Rosa Luxemburg: Miliz und Militarismus, in: Leipziger Volkszeitung, Februar 1899, Nr. 42–44 u. 47, 20.–22. u. 25 als Erwiderung auf Max Schippel [als Isegrim]: War Friedrich Engels milizgläubisch?, in: Sozialistische Monatshefte, November 1898 und Karl Kautsky: Friedrich Engels und das Milizsystem, in: Die Neue Zeit (Stuttgart), 17. Jg. 1898/99, 1. Bd., S.335–342. Vgl. ebenfalls Rosa Luxemburg: Gesammelte Werke, Bd. 1, 1. Halbbd., Berlin 1982, S. 446–466. Online aufrufbar unter: www.marxists.org/deutsch/archiv/luxemburg/1899/miliz/index.htm [4] Ebd. [5] Ebd. [6] Ebd. [7] Ebd. [8] Ebd. [9] Ebd. [10] Bruno Kern: Rosa Luxemburg: Mensch sein ist vor allem die Hautsache. Gedanken einer Revolutionärin, 2. Aufl., Wiesbaden 2019, 97. [11] Ebd., 76. [12] Rosa Luxemburg: Die Sozialisierung der Gesellschaft. GW, Bd. 4., August 1914 bis Januar 1919, Berlin 1970−2017, S. 431−434. [13] Dagmar Enkelmann/Florian Weis: »Ich lebe am fröhlichsten im Sturm«. 25 Jahre Rosa-Luxemburg-Stiftung: Gesellschaftsanalyse und politische Bildung, Hamburg 2015, S. 79. [14] Ebd. [15] Judith Scholter/Frank Werner: Bundeswehr. Von der Wehrmacht lernen?, Zeit Online, 08.08.2018, unter: www.zeit.de/zeit-geschichte/2018/04/bundeswehr-tradition-ausrichtung-soenke-neitzel-hannes-heer. [16] Michael Schulze von Glaßer: Soldaten im Klassenzimmer. Die Bundeswehr an Schulen, Köln 2012, S. 14−15. [17] Michael Schulze von Glaßer: Die Eroberung der Schulen. Wie die Bundeswehr in Bildungsstätten wirbt, in: Informationsstelle Militarisierung (IMI), 02/2010, 18.1.2010, S. 12. [18] Rosa Luxemburg: Die Sozialisierung der Gesellschaft. GW, Bd. 4., August 1914 bis Januar 1919, Berlin 1970−2017, S. 397−398. [19] Dirk Jahn: Kritisches Denken fördern können – Entwicklung eines didaktischen Designs zur Qualifizierung pädagogischer Professionals, Aachen 2012, S.23. [20] Ebd., S.22. [21] Bruno Kern: Rosa Luxemburg: Mensch sein ist vor allem die Hautsache. Gedanken einer Revolutionärin, 2. Aufl., Wiesbaden 2019, S. 74.

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